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Serendipity.

Die Übung an sich selbst außerhalb der Ästhetik: das Gegenmittel zu Instrumentalisierungen der Kultur.

Christian Ruby, Nouvelles lettres sur l’éducation esthétique de l’homme, 2005

Image1In heutiger Zeit den politischen Status der Kultur und der Kunst zu untersuchen setzt voraus, dass man ebenfalls drei Aspekte unserer Epoche in Betracht zieht.

[1], einst von Simmel als langer Prozess identifiziert, zeige sich heute durch die Einrichtungen und Prozeduren, Ersatz für Kunstwerke, diese selbst auf einen „gasförmigen“ Zustand reduziert, währenddessen das Banale und Gewöhnliche in der Welt überall kosmetisch erfasst werde (stilisierte Markenzeichen, durch Bodybuilding gestylte Körper). Das Künstlerische, „das eine gasige Form annimmt und alles wie mit Dunst überzieht“, verstärke die Orientierungslosigkeit wie auch die Passivität (Yves Michaud, Die Kunst im gasförmigen Zustand. Essai über den Triumph der Ästhetik, Stock, 2003).

Mit Neue Briefe zur ästhetischen Erziehung des Menschen übernimmt Christian Ruby die Analyse der beiden ersten Aspekte, gibt aber zu bedenken, dass die Zeitgenössische Kunst, weit entfernt davon, mit dem umdünstenden Gas der Ästhetisierung der Gesellschaft verwechselt zu werden, kritische Mittel [2] entwickelt, die es erlauben, den Modeerscheinungen der Instrumentalisierung zu widerstehen. Diese bauen sich auf der Fähigkeit auf, das Paradigma anzufechten, in das man sie eingrenzen möchte (klassische Ästhetik, die eine gleichsinnige Gemeinschaft voraussetzt) und deshalb indirekt durch eine Praxis der Interferenzen, eine offenere Aufnahme seitens der Betrachter den Änderungen der Regeln gegenüber vorzuschlagen. Der Autor verlängert und formuliert hier neu, von einem gewinnbringenden Blickwinkel aus, der Befragung Schillers, die vorherigen Arbeiten, die die Zeitgenössische Kunst behandelten (Les résistances à l’art contemporain, Labor, 2002; L’État esthétique, Castells-Labor, 2000; L’art et la règle, Ellipses, 1998), das soziale und politische Band (La solidarité, Ellipses, 1997; Les archipels de la différence, Le Félin, 1990; Le champ de bataille postmoderne/néomoderne, L’Harmattan, 1990) und die Geschichte der Philosophie (Histoire de la philosophie, La Découverte, 2004).

Mit Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen (1794) hat Friedrich von Schiller in Reaktion auf die politische Willkür, auf die sozialen Ungerechtigkeiten und auf das Gegenbeispiel des französischen Regimes der Terreur, jedoch auch, indem er die durch die Arbeitsteilung eingeführte Verkomplizierung der Gesellschaft einschätzt, eine Philosophie der Erziehung durch die Kunst geschaffen, die sowohl das Individuum als auch den Staat zu ereneurn bestrebt ist. Die Neuen Briefe von Christian Ruby gehen in einer nüchternen und wirksamen Sprache, die seinem Thema außergewöhnlich gut entspricht, von der schöpferischen Idee aus, dass die Zweideutigkeit selbst des Schiller’schen Modells (Veränderung der Person mittels Wahrnehmung der klassischen Kunst — Sozialisierung — Entfaltung der Freiheit und Erhebung der Kommunikation ins Politische) daraus ein wirksames Vergleichsinstrument macht, um die aktuelle Situation der Zeitgenössischen Kunst, ihrer Aufnahme und ihrer Verwendung durch eine ästhetische Politik zu analysieren. Einerseits kann der zentrale Begriff der „Übung“ (äußerste, durch das Kunstwerk bewirkte Aufmerksamkeit, die eine Reinigung von subjektiven Reaktionen auslöst) vollkommen auf die Zeitgenössische Kunst angewendet werden, aber gleichzeitig erweist sich der ausdrückliche Bezug auf die Kant’sche Ästhetik (Critique de la faculté de juger, 1790) als überholt; in der Tat leitet sie eine abstrakte Kommunikation ein, die Interferenzen mit dem anderen und eine gleichgesinnte Gemeinschaft ausschließt, die sich niemals richtig verwirklicht.

Christian Ruby bricht mit der philosophisch-klassischen Ästhetik, die eine normierte Erziehung vorstellt, mittels einer materialistischen Anthropologie der Regeln, die es erlaubt, „eine allgemeine Idee dessen zu definieren, was die Menschen ohne Unterlass als soziale Wesen zu werden wünschen, eine Idee ihrer Entscheidung in und durch den anderen, ihrer Art, sich dem allgemeinen Urteil zu stellen oder nicht, der Formen ihrer Aktionen und der Grenzen und Schranken, auf die sie sich stützen“ (Brief 3, s. 46). Wenn also die Bildung als Antwort auf einen Zustand der Zivilisation und auf einen soziopolitischen Kontext eine „Verstärkung einer Fähigkeit zur Ausübung einer Regel [3] und ihrer Legitimation ist“, kann man zwei große Fälle unterscheiden, denjenigen des Menschlichen, der die Formbarkeit der Regeln anvisiert, und den des Unmenschlichen, der sich mit den starren Bräuchen (aufgezwungenes Gebot, normiertes Absolutes, Ausschluss des anderen) abfindet. Für den Autor ist die Einbeziehung dieser Plastizität undenkbar in der Schiller’schen Ästhetik, abgelehnt vom ästhetischen Staat von heute und bildet im Gegensatz dazu das eigentliche Prinzip der Zeitgenössischen Kunst [4] und ihrer Wahrnehmung. Wenn diese politisch ist, so ist sie es indirekt, denn indem sie die Ästhetik als Paradigma (und als Grundstein einer gleichgesinnten Gemeinschaft) kritisiert und die in der kulturellen Sphäre internen Widersprüche analysiert, beeinflusst sie nicht direkt die Gesellschaft, die Institutionen , die Mächte. Dagegen kann sie mittels der gegenseitigen Einwirkung der menschlichen Aktionsfelder (Wirtschaft, Moral) ein neues Modell des Zusammenlebens vorschlagen: Indem sie sich jeder Unterordnung unter einen Status quo und jeder Vorherrschaft, die auf einem eindeutigen Glaubenssystem beruht, widersetzt, legt sie den Gedanken nahe, dass die Formbarkeit der Regeln und der Enthusiasmus die treibende Kraft für eine zukünftige solidarische Demokratie sein können (Brief 26). Das heißt, ein öffentlicher Raum, der nicht mehr nur virtuell ist wie jener, von der Ästhetik gezeichnet, sondern in der Tat verwirklicht.

Abstract

In heutiger Zeit den politischen Status der Kultur und der Kunst zu untersuchen setzt voraus, dass man ebenfalls drei Aspekte unserer Epoche in Betracht zieht.Wir haben die Orientierung verloren aufgrund des Widerspruchs zwischen der Vielfalt der Wege (Theorien, Lebensstile, Kunstrichtungen) einerseits und der Vorstellung der Erreichung eines Ziels (das Ende der Geschichte, die vollkommene Gesellschaft) ...

Bibliography

Notes

[1] Historischer Prozess, seit der Renaissance langzeitig beobachtet, durch den die Kunstwerke immer weniger versuchten, die Betrachter zufrieden zu stellen, unter der Berücksichtigung einerseits der Tatsache, dass die Form sich vor dem Leben zurückzieht und andererseits der Ambivalenz des sozialen Bands, das während der Aktion eine vollkommene Symmetrie zwischen der Erhöhung der Lebensmöglichkeiten und der Verfremdungsperspektiven (Isosthenie) errichtet.

[2] Die Zeitgenössische Kunst hat eine dreifache Aufgabe, sie lässt uns den Unterschied zwischen Ästhesik (passiver Verbrauch, Konformismus) und Ästhetik erkennen, zwischen Künstlerischem und der Ästhetik (diejenige, die als Norm verstanden wird und eine monologische Beziehung zum Kunstwerk herstellt), aber sie schafft auch eine Distanz zu ästhetischen Institutionen. (C. Ruby, Brief 21, s. 173)

[3] Die ästhetische Übung bringt eine Regel hervor, eine Soziabilität, die vom Betrachter verlangt, seine Sensibilität dem klassischen Werk gegenüber einzusetzen, sich mit sich selbst auseinander zu setzen der modernen Kunst gegenüber oder selbst ein Protagonist zu werden und seine Gewohnheiten und sein Verhältnis zu den anderen der zeitgenössischen Kunst gegenüber zu überprüfen (C. Ruby, Brief 12, s. 112).

[4] Was durch die städtischen Labyrinthe illustriert wird, durch die Fotografien von Thomas Struth oder Issac Julien (s. 110)

Authors

Stanislas d’Ornano

Doktor der Politikwissenschaften, Lehrer für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, Mitglied des Vereins PhiloLille.

Partnership

Serendipity.

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